Die Tennessee Titans mutierten von der ewigen ewigen grauen Maus, zu einem der aufstrebendsten Teams binnen weniger Jahre. Ein hervorragender General Manager mit guten Draft-Picks und vernünftige Neuzugängen machen es möglich. Besonders spannend: das Trio um Marcus Mariota, DeMarco Murray und Derrick Henry.
Gefunden
Als Jon Robinson im Januar 2016 als neuer General Manager der Tennessee Titans vorgestellt wurde, versprach er Veränderung. Da kam es gerade recht, dass er vor einer sehr komfortablen Entscheidung stand: sein Team hatte den ersten Pick im kommenden Draft, allerdings auch einige Baustellen anzugehen. Die Saison 2015 schloss man mit nur drei Siegen bei 13 Niederlagen ab, die O-Line wies die schlechtesten Liga-Werte auf (meiste Sacks zugelassen), das Laufspiel wollte auch nicht sonderlich gut funktionieren, weder hatte man viele Passfänger noch eine solide Defensive. Aber immerhin hatte man in Marcus Mariota den neuen Franchise-Quarterback gefunden.
2015 im Draft an zweiter Stelle gepickt, konnte der Heisman-Trophy-Gewinner von 2014 trotz des schwachen Records überzeugen. Die Erwartungen in den ehemaligen Spielmacher von Oregon waren von Beginn an hoch, er brachte die Titans wieder auf das Radar der gesamten NFL-Fanlandschaft. Natürlich stand auch schon zu diesem Zeitpunkt das Duell zwischen ihm und Jameis Winston im Fokus, seinem ewigen Nemesis. Schon am College wurden die beiden ständig verglichen – logisch ob der Erfolge – standen sich im College-Halbfinale der Saison 2014 gegenüber, indem Mariota Winston dessen einzige Niederlage auf Universitäts-Ebene zufügen konnte. Und wie es der Zufall so wollte, standen sie sich in ihrem ersten NFL-Karriere-Start in Woche eins der Saison 2015 gegenüber. Abermals saß Mariota am längeren Hebel, schrieb sich mit 209 Passing-Yards, vier Touchdowns und einem perfekten QB-Rating von 158.3 in die Geschichtsbücher ein. In seinem zweiten Spiel erlebte er die erste Niederlage, gegen die Cleveland Browns – Achtung bitte sich festzuhalten – und Johnny Manziel setzte es eine 28:14 Niederlage. Die Leistungen von Mariota stimmten aber, er konnte gegen die New Orleans Saints wieder ein Spiel mit vier Touchdowns und keiner Interception absolvieren und vollzog in Woche 13 gegen die Jacksonville Jaguars sein wohl bekanntestes play: einen 87-Yard-Rushing-Touchdown. Eine Woche später fing er einen Pass zu einem Touchdown, was ihn zum ersten Spieler seit dem großen Walter Payton machte, der in einer Saison sowohl einen Pass-, einen Rushing- als auch einen Receiving-Touchdown verzeichnen konnte. Wie das bei mobilen QBs ohne O-Line (38 Sacks!) leider öfter der Fall ist, verletzte sich Mariota in Woche 15 gegen die New England Patriots am Knie und fiel für den Rest der Saison aus. Die Leistungen bestätigten die Einschätzungen vor dem Draft, Mariota kann eine Franchise führen.
Robinson war in die Wahl von Mariota noch nicht eingeweiht gewesen, bis 2015 war er noch bei den Tampa Bay Buccaneers unter Vertrag – als Director of Player Personnel – also für das Scouting bzw. das Recruitment von Spielern zuständig. Und wie es der Zufall so wollte, hatten die Buccaneers 2015 ebenfalls keinen Franchise-Quarterback, wohl aber die Auswahl zwischen Winston und Mariota, da man an erster Stelle pickte. Man entschied sich für Winston. Robinson sollte später sagen: “Es war eine schwere Entscheidung. Es war keine Wahl zwischen #1 und #2 – es war mehr eine Wahl zwischen 1a und 1b – wir konnten mit keinem der beiden Spieler etwas falsch machen.” Er sollte recht behalten.
Gekommen
Zwei Jahre in Folge für den ersten Pick zuständig zu sein kommt wahrlich nicht oft vor. Robinson, zum damaligen Zeitpunkt 40 Jahre alt, stammt aus einer 10.000 Einwohner-Stadt in Tennessee, war immer schon von Football besessen. Dass er jetzt General Manager eines NFL-Teams ist, hat er sich vermutlich nie vorstellen können: als Kind wäre Robinson beinahe gestorben, eine Nieren-Krankheit stoppte sein Herz, gleich zweimal musste er reanimiert werden. Tage im Koma folgten. Als er wieder aufwachte soll er dem Arzt als erste Frage gestellt haben: “Kann ich noch Football spielen?” Die Antwortet sollte ja sein. Als Defensive Lineman spielte er an der Universität von Southeast Missouri State. Für die Spieler-Karriere in der NFL reichte es nicht, wohl aber für Coaching und vor allem Scouting. 2002 riefen ihn die New England Patriots zu sich, wo er nach und nach bis zum Director of college scouting aufsteigen sollte. Robinson gilt als Perfektionist, eine hervorragende Ergänzung zu Bill Belichick, er wollte dem Head Coach das Leben so leicht wie möglich gestalten, ihm alles so organisieren, dass Belichick schon alle Antworten auf die noch nicht gestellten Fragen hatte. Mit dem Hinweis: “Ich strebe nach Perfektion, werde aber ein paar Fehler machen.” Belichick antwortete: “Willst du mich veräppeln? Weißt du wie oft ich daneben lag?” 2013 erfolgte die Trennung und der Wechsel nach Tampa, 2016 dann jener nach Nashville – und wieder die Frage: wen mit dem ersten Pick holen, wo soll man anfangen?
Vergangenes Jahr erlebten wir eine der besten Offensive-Linemen-Klassen der vergangenen Jahre mit Laremy Tunsil an der Spitze der Tackles. Es war schon recht früh klar, dass er wohl bei den Titans landen würde, er passte wie die Faust aufs Auge. Aber Robinson ist kein Freund von offensichtlichen Dingen. Er versprach bei Amts-Antritt das Team breiter aufzustellen, das Team kollektiv besser zu machen. Keine drei Wochen vor dem Draft erfolgte der Bomben-Deal, Tennessee tradete nach hinten, überließ den Los Angeles Rams den ersten Pick, shoppte dafür satte sechs Picks (zwei Zweitrunden- und einen Drittrunder 2016 + einen Erst- und Drittenrundenpick 2017). “Als ich vor drei Montan kam, sagten wir, dass wir das Team schnell ändern wollen. Heute nehmen wir einen weiteren Schritt in diese Richtung”, begründete er damals die Entscheidung und ergänzte in Anspielung auf weitere Tauschgeschäfte: “Mein Telefon funktioniert immer noch, fühlt euch freu anzurufen.” Es erinnerte stark an die Draft-Philosophie der New England Patriots: unorthodox aber effektiv.
Ergänzt
Robinson ist ein Schlitzohr. Logischerweise hat er überall seine Spatzen sitzen, die ihm jede Änderung von anderen NFL-Teams zwitschern. So auch gleich in seinen ersten Monaten als General Manager. Mit der Entlassung von Chip Kelly bei den Philadelphia Eagles Ende Dezember 2015 sollte ein weiteres Experiment zu Ende gehen: DeMarco Murrays Zeit in der Stadt der brüderlichen Liebe. Murray, 2014 noch unumstrittener Rushing-Yards-Leader der NFL mit 1.845 Yards, wechselte zur Saison 2015 von den Dallas Cowboys zu den Eagles, erlebte dort eine absolute Seuchensaison: 702 Yards – zu wenig für ihn und seinen Monstervertrag (fünf Jahre 42 Millionen Dollar, 21 garantiert). Die Kritiker kamen aus den Löchern gekrochen, beschworen, dass Murrays gute Statistiken bei den Cowboys nur auf deren herausragender O-Line fußten. Robinson sollte während des NFL Combines Wind davon bekommen, dass Murray nicht mehr gewünscht sei und rief daraufhin schnell bei Howie Roseman an (Vizepräsident der Eagles) um sich über den Status von Murray zu erkundigen und über einen Tausch zu sprechen. Roseman gab grünes Licht, Robinson dürfe mit dem Runningback und seinen Agenten sprechen. Eines ergab das andere, es passte sofort, Robinson handelte einen Deal mit den Eagles aus und konnte Murray zu einer Kürzung der Boni-Zahlungen bringen (garantiertes Gehalt blieb bei zwölf Millionen bestehen). Der Deal an sich war wieder sehr gut für Tennesse: man erhielt Murray und einen Viertrundenpick für einen Viertrundenpick der Titans, übernahm aber den Vertrag von Murray. Für alle eine win-win Situation, die Eagles drafteten auf Grund des Picks-Tausch am Beginn der vierten Runde (den man später an die Browns abgab um an Nummer zwei picken zu können), Tennessee hatte den gewünschten Runningback gefunden und Murray die Chance auf Reputation.
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Und es sollte sich auszahlen. Murray spielte eine bärenstarke Saison, überzeugte auf ganzer Linie und gab dem Zuschauer das Gefühl, dass er sich hier wirklich wohl fühlt. Am Ende kam er auf 1.287 Rushing-Yards bei 293 Carries (neun Touchdowns) und 377 Receiving-Yards (drei Touchdowns) – zusätzlich gab es eine Einberufung in den Pro Bowl. Für Mariota war die Verpflichtung Gold wert, musste er so doch weniger selbst laufen und konnte sich auf das Passspiel konzentrieren.
Aufgebaut
Der Draft stand vor der Tür und hatte wie üblich seine Überraschungen parat. Laremy Tunsil fiel durch – ein kurz vor dem Draft geleaktes Video das ihn beim Marihuana-Konsum zeigt – wurde ihm zum Verhängnis. Tennesse wählte ursprünglich ob des Rams-Trades erst an 15. Stelle, ging aber an die achte Stelle nach vorne indem man mit den Cleveland Browns tauschte. Man vermutete einen Tackle, der auch kam, allerdings nicht in Form von Tunsil sondern in jener von Jack Conklin (was einige übrigens vorhergesehen haben). Conklin sollte zu einem der besten Tackles der Liga mutieren, schon im ersten Jahr wurde er ins All-Pro First-Team gewählt. Er gab Mariota über rechts Zeit zum werfen und machte Platz für Murray. Auch dank ihm erlebte die O-Line der Titans eine Auferstehung, man stellte zwischenzeitlich die beste Mauer der Liga, musste sich am Ende nur knapp den Evergreens aus Dallas geschlagen geben.
In Runde zwei wählte Robinson mit Kevin Dodd einen vielversprechenden Outside-Linebacker der Universität von Clemson aus. Dodd hatte heuer aber seine Probleme, kam nur auf fünf Tackles und einen Sack und fiel früh mit einer neuerlichen Fuß-Verletzung aus. Der Wow-Effekt sollte aber nur wenige Picks hinter Dodd erfolgen, man wählte mit dem zweiten Zweitrunden-Pick (Trades sei dank) Derrick Henry aus. Henry, zum damaligen Zeitpunkt Heisman-Trophy-Winner galt hinter Ezekiel Elliott als bester Läufer der Klasse. Durch die Verpflichtung von Murray im März war dieser Move nicht abzusehen, Murray selbst lobte Robinson aber für die Entscheidung und gibt sich seitdem als Mentor für Henry. Als Nummer zwei in die Saison gestartet, bekam Henry gegen Ende der Spielzeit mehr und mehr Bälle, kam am Ende auf 490 Rushing-Yards und fünf Touchdowns bzw. 137 Receiving-Yards.
Titans RB Demarco Murray was our No. 9 graded running back in 2016, but rookie teammate Derrick Henry was impressive in his own right. pic.twitter.com/3XqftgSEbN
— Pro Football Focus (@PFF) May 19, 2017
Das Quartett Conklin-Mariota-Murray-Henry funktionierte hervorragend, wurde aber wegen der schlimmen Verletzung von Mariota in Woche 16 zu einem Trio dezimiert. Mariota spielte wieder eine unglaublich solide Saison, warf auch im zweiten NFL-Jahr noch keine Interception wenn er in der Redzone stand und beendete sein Jahr frühzeitig mit 3.426 Passing-Yards (26 TDs, neun INTs) und 349 Rushing-Yards (zwei TDs). Durch Mariotas Laufstärke und das duale RB-System hat Tennessee herrlich viele Möglichkeiten mit dem Ball.
Für das kommende Jahr drehte Robinson weiter an den wichtigen Schrauben. Im Draft wählte man an fünfter Stelle Reciever Corey Davis aus, der endlich auch für Gefahr über das Passspiel abseits von Veteran Delaine Walker sorgen wird und mit Taywan Taylor in der dritten Runde gleich noch einen Passfänger drauf. Defensiv setzt man auf Adoree’ Jackson, der zusätzlich noch der wohl beste Returner seit Devin Hester sein dürfte (mehr dazu bald im Offseason-Report).
Als Als Jon Robinson im Januar 2016 als neuer General Manager der Tennessee Titans vorgestellt wurde, versprach er Veränderung. Eineinhalb Jahre später kann man sagen: verändert hat sich vieles, die Titans sind unter ihm wieder zu einem der spannendsten Teams der Liga geworden.
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