Trevor Siemian war vor der abgelaufenen Spielzeit wohl nur Fans der Denver Broncos ein Begriff. Ein Siebtrunder der es schaffte im Roster zu bleiben und schlußendlich sogar das große Erbe von Peyton Manning antrat. Doch wer ist dieser Siemian eigentlich und wie konnte er zum NFL-Starter werden?
Eigentlich war schon alles vorbei, noch bevor es richtig losgehen konnte. Als Trevor Siemian sich im November 2014, in seiner letzten College-Saison, das vordere Kreuzband riss, sah er seine NFL-Träume davonziehen. “I think I’m done”, soll er zu seinem Coach gesagt haben. Es ist der bittere Höhepunkt einer sehr schwierigen Universitäts-Karriere. Aber immerhin hatte er einen Abschluss in Gewerbeimmobilien und auch schon ein lukratives Jobangebot vorgelegt bekommen. NFL oder normaler Job?
Northwestern ist nicht unbedingt als Talentschmiede für NFL-Spieler bekannt. Die Universität in Evanston, Illinois, spielt zwar auf höchstem College-Niveau, gilt aber als kleinere Schule. Trevor Siemian schloss sich den Wildcats 2010 an, sollte aber das erste Jahr noch aussetzen. 2011 durfte er als Backup-QB erste Würfe vornehmen, kam aber nicht wirklich zum Einsatz. Mit der Saison 2012 standen mit Kain Colter und Siemian zwei starke Quarterbacks im Kader, die sich in ihrer Spielweise aber deutlich unterschieden: Kolter, der Läufer und Siemian, der mit dem starken Arm. Head Coach Pat Fitzgerald wollte beide Stärken in seine Offensive einbauen, kreierte eine Wildcat-System, mit Colter in der Dual-Threat-Rolle und Siemian als Mann für die tiefen Bälle. Es sollte funktionieren, Colter war zwar am Papier der Starter, wenn es brenzlig wurde griff man aber auf Siemian zurück. Am Ende kam er auf 1.312 Passing-Yards bei sechs Touchdowns und drei Interceptions. Das folgende Jahr verlief für Siemian nicht optimal, eine Knöchelverletzung beeinträchtigte ihn das gesamte Jahr über. Zwar gingen seine Zahlen nach oben (2.149 Yards, elf Touchdowns, neun Interceptions), sein Team konnte aber wieder nicht in ein Bowl-Game einziehen. Und den alleinigen Starting-Posten konnte er sich immer noch nicht sichern.
In seinem Senior-Year 2014 war Colter nicht mehr im Kader, er hatte die Universitäts-Laufbahn abgeschlossen. Siemian durfte also endlich die Offensive führen, hatte aber auch hier Pech, da sich die Mannschaft im Umbruch befand, er eine schwache O-Line vor sich stehen hatte und kein überragender Passfänger an seiner Seite stand. Und dann, im elften Spiel der Saison, krachte es auch noch im Knie. Das lange Warten auf den Starting-Job schien mehr oder weniger umsonst, jeder Einsatz in den vergangenen Jahren unbelohnt – die Karriere in der NFL, sie schien weiter weg denn je.
Gary knows best
Die Verantwortlichen der Denver Broncos und ihr – zum damaligen Zeitpunkt – neuer Head-Coach Gary Kubiak bereiteten sich auf die Zeit nach Peyton Manning vor. Zwar würde er noch ein Jahr spielen, dennoch wollte man sich auf der Quarterback-Position verstärken. Im NFL Draft 2015 schien viel Talent zu schlummern, mit Jameis Winston und Marcus Mariota an der Spitze der QB-Gruppe. Der Bedarf war natürlich nicht so groß, schon in den frühen Runden einen Spielmacher zu wählen, man fokussierte sich auf die späten Runden und entschied nach Stärke des Boards. Kubiak erhielt im Vorfeld eine Liste von einem seiner Scouts mit 21 QBs der Klasse, fünfzehn davon als “Prime Prospects” eingestuft, sechs davon als “Others” – Siemian schien bei den sechs Nachzüglern auf. Keine gute Voraussetzung, schaut man sich die “anderen” doch deutlich weniger an, als die weiter vorne gereihten, meistens werden nur ein bis zwei Spiele vom Best of the Rest analysiert. Siemian spielte in seiner Abschluss-Saison eine sehr gute Partie gegen das College von Notre-Dame (30 von 48 Pässen kamen an, er führte das Team zu einem 43:40 Sieg) und hatte Glück, dass sie Kubiak just dieses Spiel aussucht, damit konnte er seine Aufmerksamkeit wecken. Kubiak sah sich noch ein weiteres Spiel an, mochte was er sah und gab mehr Nachforschungen über Siemian in Auftrag.
Lucky to have spent the last two years with Knapper and Rico. Thank you guys for everything! pic.twitter.com/FVLRBD7rWK
— Trevor Siemian (@TrevorSiemian) January 14, 2017
Von all dem wusste Trevor natürlich nichts. Er haderte noch mit seiner Zukunft, wusste nicht wie es weitergehen würde. Teamkollegen von ihm betonten in Interviews im vergangenen Jahr, dass Siemian wirklich kurz davor war die Schuhe an den Nagel zu hängen. Er sah seine Chancen als Senior-QB mit nicht einmal einem Jahr als Starter an keinem ultimativen Football-College und mit einer schweren Knieverletzung einfach zu gering. Und der Job in Chicago lag auch schon auf dem Tisch. Aber im Warten und im Geduld üben hatte er Erfahrung. “Ich kam an den Punkt wo ich mir sagte: wenn du das jetzt nicht versuchst, wirst du es irgendwann bereuen. Ich liebe es zu spielen, im Locker-Room zu sein und im Huddle zu stehen. Diese Sachen will ich jetzt noch nicht aufgeben.” Er entschied sich also, sich seiner Chancen bewusst, für das NFL Camp. Sollte es nicht klappen, seine Zukunft wäre mit der Jobaussicht in Chicago abgesichert.
Und tatsächlich, einen Monat vor dem Draft tauchte Denvers QB-Coach Greg Knapp in Evanston auf und schaute Siemian genau auf die Finger. Zwar immer noch nicht voll mobil, konnte er überzeugen – Denver wählte Siemian schließlich in der siebten und letzten Runde mit dem 250. Pick im Draft aus.
(Vorsichtig) Angekommen
Dass ein Spieler der im Draft ausgewählt wird auch tatsächlich den Sprung in den Roster schafft, ist bei weitem nicht so sicher wie man das vielleicht vermuten würde. Gerade Spieler aus den späten Runden müssen sich im Training stark beweisen – nicht nur gegen die ohnehin schon taffe und erfahrene Konkurrenz, sondern auch gegen viele Undrafted Spieler, die von den Teams nach dem eigentlichen Draft-Event noch eingeladen werden. Siemian schaffte es zunächst, blieb hinter Manning und dem legendären Brock Osweiler dritter Quarterback. Starke Vorstellungen in den Preseason-Games machten es möglich. 2015 sollte er nie zum Einsatz kommen, Manning und Osweiler machten die Arbeit.
My linemen aren’t the only ones tasting the rainbow. My partner @Skittles hooked the whole team up! #Horsepower pic.twitter.com/UtFnOuMQE3
— Trevor Siemian (@TrevorSiemian) December 21, 2016
Mit dem Rücktritt Mannings und der grandiosen Entscheidung Osweiler nach Houston ziehen zu lassen, standen den Broncos mit Siemian nur ein Quarterback zur Verfügung. Im Draft 2016 tradete man nach oben um sich Paxton Lynch zu sichern, bei den Free Agents schlug man in Form von Mark Sanchez zu. Für Siemian schienen die Chancen also wieder sehr gering zu sein, überhaupt zu Einsatzminuten zu kommen. Kubiak ließ aber aufhören, als er versicherte, den besten Mann spielen zu lassen. Siemian konnte überzeugen und sich nicht nur gegen den Rookie Lynch, sondern auch gegen den Veteran Sanchez durchsetzen (den Denver dann auch wenige Zeit später schon wieder entließ).
Im Season-Opener gegen die Carolina Panthers konnte er einen Touchdown verbuchen, spielte besser als erwartet (178 Yards, 18/26), auch wenn zwei Interceptions am Ende in seiner Statistik aufschienen. Schon eine Woche später warf er gegen die Indianapolis Colts 266 Yards, konnte aber nur eine Interception und keinen Touchdown anschreiben. Gegen die Cincinnati Bengals folgte die beste Saisonleistung: 312 Yards, vier Touchdowns, kein Turnover. Eine Schulterverletzung während des Spiels gegen Tampa Bay in Woche vier ließ ihn für Woche fünf ausfallen, ehe er gegen die San Diego Chargers wieder auf das Feld zurückkehren sollte. Weitere Bestleistungen folgten, zwischen Woche acht und Woche 14 warf er im Schnitt mindestens 300 Yards – am Ende der Saison kam er auf 3.401 Passing-Yards, 18 Touchdowns und zehn Interceptions bei einem Rating von 84.6. Denver verpasste zwar die Playoffs, seine Leistungen zerschmetterten aber jene des Duos Manning-Osweiler bei weitem.
Die Zukunft
Trotz sehr guter Leistung ist Siemians-Job in Gefahr. Neo-Head-Coach Vance Joseph lässt sowohl Siemian als auch Lynch mit dem ersten Team trainieren, in den nächsten Wochen wird sich also zeigen, wer dieses Jahr die Nase vorn hat. Im Gegensatz zu Brock Osweiler ist er immer am Boden geblieben, dürfte sich mit jeder Rolle zufrieden geben – ein echter Teamplayer eben. Aber irgendwie wünscht man sich, dass das Märchen von Siemian noch weiter geht und er starten darf. Wie auch immer es weiter geht, den Job in Chicago dürfte er immer noch sicher in der Tasche haben.
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